Auszug aus der Eröffnungsrede 2007 im Kunstverein Schwäbisch Hall e.V. / Galerie am Markt
Line – Performance
Eine Linie, die Anna Tretter gezeichnet – oder gescannt / aufgenommen hat auf einem elektronischen Zeichenbrett, eine Linie, die einer ihrer Reisen von Prag nach Dresden folgt, und die ganz abstrakt eben diesem Rhythmus des Unterwegs, des sich Einlassens auf das Unbekannte, das in jeder Reise steckt, nachvollzieht. Die Linie hält eine Spannung, es gibt Kreuzungen, Bündelungen, schwebende Knäuel, Verdichtungen, dann löst sich die Zeichnung wieder in ein gedehntes Lineament und so folgt sie den Unwägbarkeiten jeder Fahrt: eine Passage zwischen Erfahren und Fahren. Die Linie ist eine mediale Erweiterung von Tretters Zeichnungsserien, wo sie ebenso ganz nonchalant beim Unterwegssein im Auto, im Zug oder im Flugzeug ein Blatt Papier oder einen vorgefundenen Zettel auf den Knien hält und die Bewegung / das Bewegtwerden selbst protokolliert und die Zeichnung entstehen lässt durch das, das ja sowieso da ist, den Vibrationen der Hand, die die Stockungen, die Erschütterungen – und dies ist hier ganz wörtlich zu nehmen – aufnimmt, dem Unterwegssein mit seinen Stauungen, den Knotenpunkten, dem Schlingern folgt. Es entsteht keine Zeichnung als Porträt, sondern eine Aufzeichnung, ein Notat des sich Bewegens selbst: gleichsam Zeichnung als Automobil.
Die Zeichnung und auch die elektronische Zeichnung, die im Loop projiziert wird, ist sozusagen eine abstraktes Tagebuch dessen, was wir erfahren, des sich Aussetzens, das ja zutiefst mit dem Reisen zu tun hat und zu tun haben soll. In ihrer Installation hier kommt aber noch etwas anderes hinzu: Bei einem Festival in Belgrad, in Serbien, im Dezember 2006, wurde diese Zeichnung, wurde diese Linie in Musik übersetzt von einer jungen serbischen Violinistin. Manja Ristic hat die Bewegung der Zeichen-Hand in das Medium der Musik transformiert, sie ist dem Lineament der Zeichnung, ihrem Rhythmus, ihrer Spannung mit ihrem Instrument gefolgt, hat diese in Töne übertragen, life, nach wenigen Proben und so verweben sich in der Präsentation verschiedene Schichten. Der Raum Belgrad, die Musikerin, die Klänge, die sie gefunden hat, sind hier anwesend, zugleich mit der Zeichnung, entstanden zwischen Prag und Dresden. Und dieses Übereinanderblenden/schichten von verschiedenen Erfahrungen, das Bündeln, die Neumodulation von Ereignissen scheint mir sehr symptomatisch für die Arbeiten von Anna Tretter, die oft Vorgefundenes, Erinnertes mit dem Jetzt verweben, mit einer aktuellen Situation, die sie wagemutig aufgreift.
Text: Dr. Dorothée Bauerle-Willert
Auszug aus der Eröffnungsrede 2007 im Kunstverein Schwäbisch Hall e.V. / Galerie am Markt